Von fliegenden Autos und Panikattacken

 

Der Offene Wettbewerb des Filmklub Dortmund ging zum 2. Mal online

 

Wer oder was verbindet ein Hochsicherheitsgefängnis und ein Wurmloch mit Erlebnissen in der Badewanne oder im heimischen Garten? Wo sieht man Autos fliegen, stressigen Stuhlgang und reichlich Blech? Viel Humoristisches, aber auch ernste Themen behandelten die insgesamt 54 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eingereichten Filmbeiträge des Dortmunder Offenen Wettbewerbs.

 

Am 19. Februar 2022 wurde das Ergebnis der Jurywertung und des Publikums bereits zum zweiten Mal (nach 2021) per Preisverleihungsvideo von Klubmitglied Uwe Koslowski online verkündet.

 

Die selbst konfigurierte und administrierte Plattform https://selberfilmemacher.de bewährte sich damit bereits mehrfach nicht nur für klubinterne Wettbewerbe, sondern sogar für internationale Ausschreibungen über die deutschen (BDFA-) Grenzen hinaus, wie es zuletzt bei diesem Offenen Wettbewerb und im Jahr 2021 für die 321-Open-Video-Challenge der Fall war – ebenfalls initiiert und kuratiert vom Filmklub Dortmund.

 

Auch bei der Zusammensetzung der Jury ging der Dortmunder Klub neue Wege: Zwei Redakteure der Bürgermedienplattform NRWision (TU Dortmund) erklärten sich auf Anfrage bereit, neben Martin Gubela (BDFA) die 21 Filme der Vorauswahl vor der Kamera zu diskutieren und schließlich zu bewerten. Zu den Aufgaben der Redakteurin Lisa Krosse gehört unter anderem das Sichten der eingesendeten Beiträge und ein persönliches redaktionelles Feedback für die Produzenten.

 

Der Filmklub Dortmund zeigt sich hochzufrieden mit dem Feedback auf seine Online-Aktivitäten – sei es wegen der Likes und Kommentare für die Filmbeiträge, sei es allein wegen der über 30.000 Videoaufrufe seit Start der Plattform im Herbst 2020!

 

- Die Jury -

Lisa Krosse

 

Lisa Krosse hat ein Bachelor-Studium in Germanistik und Theaterwissenschaften absolviert. Aktuell studiert sie im Master Literatur- und Medienpraxis in Essen. Im Rahmen ihres Studiums erstellte sie erste eigene Filmprojekte – eine Tätigkeit, die sich als Leidenschaft entpuppte. Seitdem beteiligt sie sich regelmäßig an privaten und studentischen Filmprojekten. Als studentische Hilfskraft unterstützte sie bereits 2018 die Bürgermedienplattform NRWision. Dort ist sie mittlerweile als Redakteurin tätig. Zu ihren Aufgaben dort gehört unter anderem das Sichten der eingesendeten Beiträge und ein persönliches redaktionelles Feedback für die Produzenten.

 


Martin Gubela

 

Filmautor und -produzent (nicht kommerziell)

UNICA-Autor, BDFA und EAK Juror, DAFF Gesprächspartner 2006, Seestern-Juror.

Inhaber des Hochschulgrades „Diplom für Bildende Künste“.

 

1985 bis heute - Zahlreiche Filme auf Bundeswettbewerben Fantex und Spielfilm, sowie 1986 auf der UNICA .

Schwerpunkt unkonventionelle, künstlerische Filme, die weder gefallen noch erheitern wollen.

1988 bis 1990 - Studium der Philosophie in Köln.

1990 bis 1996 - Diplomstudiengang „Freie Kunst“ an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK)

Seit 03/1996 - Technischer Angestellter bei der Carl-Heinz Gubela GmbH

ab 2000 - Geschäftsführer bei der Carl-Heinz Gubela GmbH

ab 2010 - Zusätzliche Selbständigkeit – Planung, Design, Mediengestaltung


Gregor Schollmeyer

 

Gregor Schollmeyer aus Dortmund ist Podcast-Produzent, Moderator und Filmliebhaber. Darüber hinaus ist er Teil der Redaktion von NRWision. Während seines theoretischen Studiums der „Literatur, Kultur, Medien“ setzte er sich außerdem in dem Film-Magazin „Vertigo“ im Siegener Campus-Radio „Radius 92,1“ mit verschiedensten Spielfilm-, Dokumentations- und Serien-Formaten praktisch auseinander. Im Laufe seines Studiums und privater Projekte war er mehrfach an unterschiedlichen Medienproduktionen beteiligt.

 


- Die Preisträger:innen des Offenen Wettbewerbs 2022 -

1. Platz der Jury

"Solange die Füße tragen" von Michael Preis (Deutschland - Filmklub Dortmund)

 

Wer eine Reise beginnt, muss viel auf sich nehmen, viel beachten. Wer seine Reise aufzeichnet, für die Nachwelt festhält und aufbereitet, muss noch mehr leisten. Wie präsentiert man einen Ort, eine Stadt, ein Land? Wie kommuniziert man Traditionen, Bräuche und Kultur fernab unserer eigenen? Man betrachtet die Menschen – mehr noch: Man geht ganz nah dran. „Solange die Füße tragen“ erzählt eine bemerkenswerte Geschichte. Der 91-jährige Mohammed zieht in Kolkata eine Rikscha. Wir nehmen nicht nur sprichwörtlich seine Perspektive ein. Die Kamera sieht durch seine Augen. Wir sehen Bilder, die im ersten Moment scheinbar Mitleid wecken wollen. Der Kommentar schafft Klarheit: Er verdeutlicht die Ambivalenz, die auf den Straßen dieser fernen Stadt herrscht. Filmemacher Michael Preis gelingt ein Spagat. Er zeigt uns unbekannte Kulturen, aber mit Kontext. Unverständliches wird verständlich. In „Solange die Füße tragen“ geht es um eine Brücke, die Kolkata zusammenhält und so schafft es auch dieser Film, eine Brücke zu bauen. Die Jury verleiht Michael Preis den ersten Preis des „Offenen Wettbewerbs 2022“ für seinen herausragenden Reisefilm „Solange die Füße tragen“.

 

(Laudatio von Jurymitglied Gregor Schollmeyer)


2. Platz der Jury

"Lorin" von Ajas Kulici (Schweiz)

 

1921 gelang erstmals die Isolierung von Insulin. Ein Durchbruch, der seitdem zahlreichen Menschen, die an Diabetes erkrankt sind, das Leben gerettet hat. So auch dem kleinen Lorin. Er kämpft seit einiger Zeit mit der Krankheit, die sein Leben für immer verändert hat. Doch er gibt nicht auf. Er schaut hoffnungsvoll in die Zukunft und will sein Leben genießen. Diese Geschichte allein ist schon genug, um tief zu berühren. Mit starken und durchdachten Bildern von Lorin und dessen Alltag mit der Krankheit Diabetes Typ I, schafft es Ajas Kulici der Geschichte seines Sohnes noch mehr Nachdruck zu verleihen. Wir sehen und hören einen kleinen Jungen, der eine Krankheit mit sich trägt, die ihn sein Leben lang begleiten wird. Doch die Stimmung des Films ist nicht traurig, weit entfernt von tragisch. Sie ist hoffnungsvoll: Die Zukunft bringt Gutes, glaubt Lorin. Vor über hundert Jahren, so sagt er selbst im Film, hätte er nicht überleben können. Zum Glück ist Lorin heute am Leben. Für sein filmisch eindrucksvoll eingefangenes Porträt „Lorin“ über einen inspirierenden Jungen erhält Ajas Kulici den zweiten Preis beim „Offenen Filmwettbewerb 2022“.

 

(Laudatio von Jurymitglied Lisa Krosse)


3. Platz der Jury

"Der Löffel" von Nils Buchholz (Deutschland)

 

Der Löffel ist ein fiktionaler, grotesker Film, der es vermag den Zuschauer zu polarisieren!

Entweder man mag dieses Werk oder nicht! Ich mag es! Das Besondere bei diesem Film ist seine Aufteilung in einzelne skurrile Episoden, die unkonventionell ineinander übergehen; perfekt gespielt werden alle vier realen Protagonisten von nur einem einzigen Darsteller. Dieses Experiment ist nicht nur technisch durch gute Bildanschlüsse, sondern auch schauspielerisch hervorragend umgesetzt. Der absurde Plot und die Dramaturgie verlassen bewusst die konventionellen Handlungsstränge einer Geschichte, sie verlassen das gewohnte, dramaturgische Gerüst.

 

Der Film ist konsequent außergewöhnlich umgesetzt. Kamera, Ton, Musik, Lichtsetzung, Stimmung und Schauspiel inkl. Handpuppenführung sind auf einem äußerst trittsicheren Niveau.

 

Der Film überrascht mich durch seine schrägen Gags und durch eine schrullige Ironie, die den Protagonisten in mehrere Persönlichkeiten aufzuteilen scheint. Eine bizarre Handpuppe, so etwas wie ein freudsches Überich, ist der Kümmerer für die menschlichen Hauptdarsteller. Die Handpuppe wird meisterlich geführt, gesprochen und in Szene gesetzt. Die eingesetzten Requisiten unterstützten wiederum die Absurdität, die sich durch den gesamten Film zieht.

 

Am Ende treffen sich die Protagonisten auf der Veranda und bilden so die mit Gitarrenmusik unterlegte „Schlussszene“. Sie sitzen nun in diesem schönen, warm beleuchteten, zentralperspektivischen Schlussbild alle gleichzeitig vor dem Haus ohne groß miteinander zu interagieren. Jeder hat eine für seine Rolle typische Requisite in der Hand. Ganz ruhig mit einer ruhigen Aufblende, bald schon zum Abspann gehörend, taucht die Handpuppe auf dem Balkon über der Veranda auf. Fast schon sentimental.

Ich finde: Es ist schon fast eine leicht philosophische Auflösung des Films mit bizarrem Unterton. Es ist ein Film, der in meinem Gedächtnis bleibt. Danke dafür.

 

(Laudatio von Jurymitglied Martin Gubela)


Lobende Erwähnung der Jury

"Tutorial: Keine Panikattacken beim großen Geschäft" von Hans Joachim Hirschfeld (Deutschland - Filmklub Dortmund)

 

Dramatik, Spannung und ein hoher Informationsgehalt. Das beschreibt das „Tutorial: Keine Panikattacken beim großen Geschäft“ von Hans Joachim Hirschfeld am besten. Eine vielen Zuschauern nur allzu geläufige Horrorvorstellung wird auf angemessene Art und Weise in dieser kurzen Unterweisung behandelt: Die Abwesenheit von Toiletten-Papier auf dem stillen Örtchen. Mit einer urkomischen Ernsthaftigkeit führt der Erzähler die Zuschauenden an verschiedene Lösungsansätze heran. Hans Joachim Hirschfeld unterstützt die absurde Kombination aus klassischer Musik und Slow-Motion-Aufnahmen mit seiner ausdrucksstarken Mimik, die das pure Entsetzen herrlich humorvoll erscheinen lässt. Das Format „Tutorial“, das man eigentlich von hektischen YouTubern oder aus Mittagsmagazinen kennt, wird hier auf gelungene Art und Weise persifliert und verfremdet. Eine lobende Erwähnung erhält der Beitrag „Tutorial: Keine Panikattacken beim großen Geschäft“ wegen seiner humorvollen Idee und der satirischen Umsetzung.

 

(Laudatio von Jurymitglied Lisa Krosse)


Lobende Erwähnung der Jury und Preis des Publikums

"Gedanken" von Karen Koch (Deutschland)

 

Poesie zu verwirklichen, wo sie niemand sucht. Emotionen zu wecken, wo sie niemand vermutet. Die Jury möchte den Kurzfilm „Gedanken“ von Karen Koch außerhalb der Preisvergabe hervorheben. Der Untertitel „Ein persönlicher Moment am Schredder - die letzte Reise eines großen Konzerns“ lässt zuerst nicht vermuten, was die nachfolgenden vier Minuten und zwölf Sekunden bereithalten. Text und Bilder sind nicht nur außerordentlich gut arrangiert, sie bewegen. Ein „kaltes“ Gerät – einen Schredder, einen Vernichter – mit so warmen Themen in Verbindung zu bringen, gelingt hier ausgezeichnet. Dieser Film findet seinen eigenen Rhythmus. Er lädt uns ein, an einem Moment, einem Gedankenstrom teilzuhaben. Wir nehmen gemeinsam Abschied, aber ohne Trauer. Eine lobende Erwähnung für „Gedanken“ von Karen Koch für die beeindruckende audiovisuelle Aufbereitung eines Moments ist mehr als angebracht.

 

(Laudatio von Jurymitglied Gregor Schollmeyer)



Hier geht's zur Wettbewerbseite mit den Filmbeiträgen und Jurybesprechungen: https://selberfilmemacher.de